Pressemitteilungen Märkische Allgemeine, 15.08.2000

Flugzeugteile wie Pilze pflücken,

 

Rüdiger Kaddatz, Mario Schulze und Uwe Rathenow enträtseln Flugzeugabstürze in und um Oranienburg

 

Von Helge Treichel

 

Die Geschehnisse im Luftraum über dem Oberhavelkreis spiegeln sich noch heute am Boden wieder. Seit mehr als 55 Jahren liegen die Spuren eines Luftkampfes in der Erde, der vielen Fliegern und ungleich mehr Zivilpersonen das Leben kostete. Drei Männer aus Oranienburg nutzen ihre Freizeit dazu, das rätselhafte Schicksal so mancher Besatzung sowie das mitunter ungelüftete Geheimnis ihres letzten Einsatzes über Feind- oder Heimatland aufzuklären.

Tausende Flugzeuge waren in den Kriegsjahren vor 1945 in dem Korridor Richtung Norden unterwegs: Damals waren die "Fliegenden Festungen" (B 17) der Amerikaner und britische Modelle wie Lancaster und Halifax in der Luft, um ihre todbringende Last über Berlin, aber auch Oranienburg abzuwerfen.

Begleitet und dezimiert wurden die Bomberverbände häufig von deutschen Jagdgeschwadern. Ähnlich verheerend die Wirkung der Flakstellungen: "9.000 englische Bomber und 6.000 bis 7.000 amerikanische Bomber stürzten zwischen ihren Heimatflughäfen und den deutschen Zielgebieten ab", erläutert Rüdiger Kaddatz. "Allein mehr als 50.000 Engländer aus den Bomberkommandos sind gefallen." Gemeinsam mit Mario Schulze und Uwe Rathenow erforscht der Hobbyhistoriker das Schicksal jener Besatzungen, die bei Malz, Schmachtenhagen, Germendorf oder Lehnitz abgeschossen wurden.

39 regionale Fundstellen haben die Flugzeugforscher während der zurückliegenden drei Jahre ausfindig gemacht. In vier Fällen stieß das Trio auf eindeutige Beweise, die Rückschlüsse auf ein bestimmtes Flugzeug und seine genaue Absturzzeit zulassen. 24 weitere Absturzstellen konnten bislang ohne zusätzliche Informationsdetails ausfindig gemacht werden. "In der Regel ist uns aber der Maschinentyp anhand der Trümmer bekannt", verrät Rüdiger Kaddatz. Ein winziges Teil reiche mitunter aus, um sofort die Nationalität zu bestimmen, denn britische Bomber waren schwarz gestrichen und flogen nur nachts. Amerikanische Flugzeuge waren innen immer grün gefärbt.

Elf weitere Absturzstellen sind den Luftkriegshistorikern lediglich aus verlässlichen Zeugenaussagen bekannt. "Ich habe viele Augenzeugen und Zeitzeugen besucht", erläutert Mario Schulze. Allerdings laufe ihm die Zeit davon. Um so mehr werde jedes Gesprächsprotokoll sorgsam in den mittlerweile gewaltigen Datenbestand eingefügt. Den größten Anteil der Bibliothek mit insgesamt 500 Titeln in unterschiedlichen Sprachen steuert Uwe Rathenow bei.

Recherchiert wird jedoch auch im Internet oder direkt in der Schatzkammer der Fliegergeschichte - im Londoner Public Record Office. Erst im Juli durchstöberten die Heimatforscher fünf Tage lang den Bestand der auf Mikrofilm archivierten Berichte von Bomber- und Jagdschwadronen. Einige hundert Mark zahlten sie allein für die Kopierkosten.

So oft die Männer auch Archivmaterial sichten und Korrespondenzen mit ausländischen Kennern der Materie oder Angehörigen von damaligen Absturzopfern führen - ein besonderes Kribbeln erfasst sie immer bei der Suche auf Äckern sowie in Wäldern und Sumpf. "Unsere Arbeit dort ist eine Gratwanderung", weiß Rüdiger Kaddatz. "Die gesetzlichen Bestimmungen sind unübersichtlich, private Grabungen untersagt und der Naturschutz spielt natürlich auch eine Rolle."

Die Hauptbeschäftigung bilden deshalb Recherchen am Schreibtisch. Stundenlang brüten die Enthusiasten über alten Luftbildserien, die unter anderem dabei helfen Abstürze zeitlich einzugrenzen - oder aufzufinden. So wie bei dem brandaktuellen Fall in Germendorf. Auf einem Luftbild vom 18. April 1944 (14.42 Uhr, Bombardierung Heinkel-Werk) entdeckte Mario Schulze auf einem Acker die winzige Rauchsäule eines Absturzes. Sofort fuhr er zum Ort des Geschehens und richtig: Trümmerteile gaben ihm recht. Jetzt soll die Stelle näher untersucht werden. Laut Verlustreport starben alle zehn Besatzungsmitglieder der B 17.

Wie gegenwärtig der Tod ist, zeigte eine Fundstelle zwischen Lehnitz und Schmachtenhagen. Dort ragte eine Fallschirmschnur aus dem Waldboden. An deren Ende fanden die Freizeitforscher die sterblichen Überreste eines Mannes. Bei einer umfangreichen Suche im Juli vergangenen Jahres konnte gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und weiteren Helfern bei einer Grabung die Skelettteile mehrerer Besatzungsmitglieder sowie Brandbomben geborgen werden. "Wir sind relativ sicher, das es sich um eine Lancaster handelt, die zwischen Juli 1943 und September 1944 abgestürzt ist", erläutert Mario Schulze. 19 vermisste Maschinen kämen für diesen Zeitraum in Frage, weshalb er sich Zeugenaussagen erhofft (03301 532009). Das gleiche gelte für weitere Abstürze aus der Literatur (z.B. bei Friedrichsthal und Wensickendorf), die noch nicht lokalisiert werden konnten.

Eine weitere schon erforschte Absturzstelle liegt bei Germendorf. An Bord war der junge Amerikaner Gregory Aversa aus Utica NY, dessen Erkennungsmarke zufällig gefunden wurde. Seine letzte Ruhe fand der Bauernsohn in einem Massengrab in Belgien. Auch sein düsteres Schicksal konnte ein Lichtpünkchen hinzugefügt werden - zur Freude der Angehörigen.

Die Flugzeugkenner sind aktiver Bestandteil der Arbeitsgruppe für Geschichte und Konversion und unterhalten u.a. Kontakte zur amerikanischen Begräbnisbehörde. "Wir wollen die weißen Flecken in der Geschichte dieser Region aufklären. Und dabei interessiert uns speziell das Luftkrieggeschehen im Großraum Oranienburg", beschreiben sie ihre selbstgestellte Aufgabe.