Flugzeugteile
wie Pilze pflücken,
Rüdiger
Kaddatz, Mario Schulze und Uwe Rathenow enträtseln Flugzeugabstürze in
und um Oranienburg
Von
Helge Treichel
Die
Geschehnisse im Luftraum über dem Oberhavelkreis spiegeln sich noch heute
am Boden wieder. Seit mehr als 55 Jahren liegen die Spuren eines
Luftkampfes in der Erde, der vielen Fliegern und ungleich mehr
Zivilpersonen das Leben kostete. Drei Männer aus Oranienburg nutzen ihre
Freizeit dazu, das rätselhafte Schicksal so mancher Besatzung sowie das
mitunter ungelüftete Geheimnis ihres letzten Einsatzes über Feind- oder
Heimatland aufzuklären.
Tausende
Flugzeuge waren in den Kriegsjahren vor 1945 in dem Korridor Richtung
Norden unterwegs: Damals waren die "Fliegenden Festungen" (B 17)
der Amerikaner und britische Modelle wie Lancaster und Halifax in der
Luft, um ihre todbringende Last über Berlin, aber auch Oranienburg
abzuwerfen.
Begleitet
und dezimiert wurden die Bomberverbände häufig von deutschen
Jagdgeschwadern. Ähnlich verheerend die Wirkung der Flakstellungen:
"9.000 englische Bomber und 6.000 bis 7.000 amerikanische Bomber stürzten
zwischen ihren Heimatflughäfen und den deutschen Zielgebieten ab",
erläutert Rüdiger Kaddatz. "Allein mehr als 50.000 Engländer aus
den Bomberkommandos sind gefallen." Gemeinsam mit Mario Schulze und
Uwe Rathenow erforscht der Hobbyhistoriker das Schicksal jener
Besatzungen, die bei Malz, Schmachtenhagen, Germendorf oder Lehnitz
abgeschossen wurden.
39
regionale Fundstellen haben die Flugzeugforscher während der zurückliegenden
drei Jahre ausfindig gemacht. In vier Fällen stieß das Trio auf
eindeutige Beweise, die Rückschlüsse auf ein bestimmtes Flugzeug und
seine genaue Absturzzeit zulassen. 24 weitere Absturzstellen konnten
bislang ohne zusätzliche Informationsdetails ausfindig gemacht werden.
"In der Regel ist uns aber der Maschinentyp anhand der Trümmer
bekannt", verrät Rüdiger Kaddatz. Ein winziges Teil reiche mitunter
aus, um sofort die Nationalität zu bestimmen, denn britische Bomber waren
schwarz gestrichen und flogen nur nachts. Amerikanische Flugzeuge waren
innen immer grün gefärbt.
Elf
weitere Absturzstellen sind den Luftkriegshistorikern lediglich aus verlässlichen
Zeugenaussagen bekannt. "Ich habe viele Augenzeugen und Zeitzeugen
besucht", erläutert Mario Schulze. Allerdings laufe ihm die Zeit
davon. Um so mehr werde jedes Gesprächsprotokoll sorgsam in den
mittlerweile gewaltigen Datenbestand eingefügt. Den größten Anteil der
Bibliothek mit insgesamt 500 Titeln in unterschiedlichen Sprachen steuert
Uwe Rathenow bei.
Recherchiert
wird jedoch auch im Internet oder direkt in der Schatzkammer der
Fliegergeschichte - im Londoner Public Record Office. Erst im Juli durchstöberten
die Heimatforscher fünf Tage lang den Bestand der auf Mikrofilm
archivierten Berichte von Bomber- und Jagdschwadronen. Einige hundert Mark
zahlten sie allein für die Kopierkosten.
So
oft die Männer auch Archivmaterial sichten und Korrespondenzen mit ausländischen
Kennern der Materie oder Angehörigen von damaligen Absturzopfern führen
- ein besonderes Kribbeln erfasst sie immer bei der Suche auf Äckern
sowie in Wäldern und Sumpf. "Unsere Arbeit dort ist eine
Gratwanderung", weiß Rüdiger Kaddatz. "Die gesetzlichen
Bestimmungen sind unübersichtlich, private Grabungen untersagt und der
Naturschutz spielt natürlich auch eine Rolle."
Die
Hauptbeschäftigung bilden deshalb Recherchen am Schreibtisch. Stundenlang
brüten die Enthusiasten über alten Luftbildserien, die unter anderem
dabei helfen Abstürze zeitlich einzugrenzen - oder aufzufinden. So wie
bei dem brandaktuellen Fall in Germendorf. Auf einem Luftbild vom 18.
April 1944 (14.42 Uhr, Bombardierung Heinkel-Werk) entdeckte Mario Schulze
auf einem Acker die winzige Rauchsäule eines Absturzes. Sofort fuhr er
zum Ort des Geschehens und richtig: Trümmerteile gaben ihm recht. Jetzt
soll die Stelle näher untersucht werden. Laut Verlustreport starben alle
zehn Besatzungsmitglieder der B 17.
Wie
gegenwärtig der Tod ist, zeigte eine Fundstelle zwischen Lehnitz und
Schmachtenhagen. Dort ragte eine Fallschirmschnur aus dem Waldboden. An
deren Ende fanden die Freizeitforscher die sterblichen Überreste eines
Mannes. Bei einer umfangreichen Suche im Juli vergangenen Jahres konnte
gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und weiteren
Helfern bei einer Grabung die Skelettteile mehrerer Besatzungsmitglieder
sowie Brandbomben geborgen werden. "Wir sind relativ sicher, das es
sich um eine Lancaster handelt, die zwischen Juli 1943 und September 1944
abgestürzt ist", erläutert Mario Schulze. 19 vermisste Maschinen kämen
für diesen Zeitraum in Frage, weshalb er sich Zeugenaussagen erhofft
(03301 532009). Das gleiche gelte für weitere Abstürze aus der Literatur
(z.B. bei Friedrichsthal und Wensickendorf), die noch nicht lokalisiert
werden konnten.
Eine
weitere schon erforschte Absturzstelle liegt bei Germendorf. An Bord war
der junge Amerikaner Gregory Aversa aus Utica NY, dessen Erkennungsmarke
zufällig gefunden wurde. Seine letzte Ruhe fand der Bauernsohn in einem
Massengrab in Belgien. Auch sein düsteres Schicksal konnte ein Lichtpünkchen
hinzugefügt werden - zur Freude der Angehörigen.
Die
Flugzeugkenner sind aktiver Bestandteil der Arbeitsgruppe für Geschichte
und Konversion und unterhalten u.a. Kontakte zur amerikanischen Begräbnisbehörde.
"Wir wollen die weißen Flecken in der Geschichte dieser Region aufklären.
Und dabei interessiert uns speziell das Luftkrieggeschehen im Großraum
Oranienburg", beschreiben sie ihre selbstgestellte Aufgabe.
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