Spurensuche
mit dem Detektor
Rüdiger
Kaddatz löst Rätsel abgestürzter Kriegsflugzeuge,
Von
Burkhard Keeve
Rüdiger
Kaddatz redet schnell, sehr schnell. Dass steht im völligen Widerspruch
zu seinem Hobby, das vollendete Geduld erfordert. Wo andere an einem
1.000er Puzzle verzweifeln, hat er ein Millionen-Puzzle in Angriff
genommen. Ob es je fertig wird, steht auf einem anderen Blatt. Das ist
auch nicht das vorrangige Ziel. In seinem "Spiel" stellt er die
Regeln selber auf.
Der
Oranienburger sammelt Überreste verrosteter Flugzeuge, die im Zweiten
Weltkrieg in und um Oranienburg abgeschossen wurden.
Wrackteil
um Wrackteil sucht der 44jährige, um die Geschichte der Maschinen und
ihrer Besatzungen zu erforschen. Dabei ist Kaddatz nicht nur mit dem
Metalldetektor auf der Jagd durch märkische Wälder, sondern recherchiert
auch auf Friedhöfen, in Archiven sowie Museen, außerdem befragt er
Augenzeugen. Zu seiner Abendliteratur zählen dicke Bücher, in denen
Absturz um Absturz akribisch aufgelistet sind. Darin wird er fündig, hat
er Flugzeugtyp und Abschusstag ermittelt. Dann fügt sich ein
Puzzelteilchen zusammen und er kann sich um Tote und Überlebende kümmern.
Glaubt
er ein Flugzeug und die verschollene Crew "enttarnt" zu haben,
schreckt er nicht davor zurück, Angehörige anzuschreiben, um mehr zum
Beispiel über Piloten und Bordschützen zu erfahren. Die Angesprochenen
seien in der Regel dankbar, wenn er etwas über den seit 50 Jahren
Vermissten mitteilen könne, sagt Kaddatz.
Schützenhilfe
bekommt er von der "Gemeinschaft der Jagdflieger" und dem
Luftwaffenmuseum Gatow, in dem er Mitglied ist.
Kaddatz
forscht in alten und aktuellen Luftbildern nach Aufschlagstellen von
Bombern, die im Wald zerschellten. Über Tipps von Förstern über
Fundorte ist er dankbar. Die gezielte Suche beginnt.
Dann
packt Kaddatz seinen piepsenden Metalldetektor ein, nimmt seinen zehnjährigen
Sohn an die Hand und zieht los.
Wenn
sie wiederkommen sind Eimer und Kisten mit Aluminiumstücken gefüllt..
Zuhause werden sie gesäubert und nach eingravierten Nummern und Zeichen
untersucht, die Aufschluss geben können, um was für einen Flugzeugtyp es
sich handeln könnte.
Mittlerweile
zählt er zu den Experten für Flugzeugwracks und deren Geschichte. Daher
arbeitet der gelernte Ingenieur für Metallurgie auch im Oranienburger
Arbeitskreis "Konversation und Militärliegenschaften" mit.
Die
Suche nach Überresten und die Nachforschung bezeichnet der Oranienburger
als regelrechtes Fieber, dem er sich nicht mehr entziehen kann.
Irgendetwas sei in ihm losgetreten worden, als er die erste Absturzstelle
fand. Heute opfert er jede freie Minute für sein Hobby - seit drei
Jahren. Seine Frau spielt noch mit, auch wenn sie selbst für den
"Plunder" im Gewächshaus nicht viel übrig hat. In dem gläsernen
Häuschen im Garten wächst nichts, außer der Hoffnung vom Forscher
Kaddatz einmal einen bislang ungeklärten Flugzeugabsturz völlig lösen
zu können. In dem Gewächshaus erkennt der Laie nichts, außer Rost.
Doch
dann wird ein verglühtes Funkgerät sichtbar oder ein Propellerrest, das
aussieht wie ein verrottetes Stück Holz. Das meiste ist Schrott, gibt
Kaddatz selbst zu, doch trennen kann er sich nicht davon, weil jedes Teil
eine Geschichte erzählt, die er noch hören möchte.
In
seinem Büro im Gartenhaus bewahrt er gut erhaltene Fundstücke auf. Eine
alte Pistole zum Beispiel oder das Ziffernblatt einer Uhr. Sogar einen
Knochensplitter grub er aus. Von Experten ließ er sich bestätigen, dass
es sich dabei um ein Schädelfragment handelt. Der Tod ist allgegenwärtig
auf seinen Wanderungen durch den Wald.
Der
Zufall führte ihn vor drei Jahren dahin. Da spazierte er mit seinem Sohn
Willy durch den Schmachtenhagener Forst. Dort war er aufgewachsen. Im Wald
ragten plötzlich Aluteile aus dem Boden. Reste einer Focke Wulf 190, wie
er später anhand der eingestanzten Schriftzeichen herausfand. Eine
deutsche Jagdmaschine also. Doch auch dieses erste Puzzle ist noch nicht
endgültig gelöst, auch das der übrigen neun Maschinen nicht, die
Kaddatz ortete: zum Beispiel in Lehnitz (eine Focke Wulf und eine
Lancaster), in Schmachtenhagen (Lancaster), in Grüneberg (Halifax) oder
in Briese, Neuholland und Germendorf.
Seine
Sucht nach Informationen führt ihn sogar bis nach England. Dort findet er
im Staatsarchiv und Museen bestes Anschauungsmaterial von Flugzeugen, die
er in Deutschland niemals bekommt, wie Kaddatz bedauert. Doch auch die
deutschen Suchdienste, die Vermisstenschicksale deutscher Piloten im
Zweiten Weltkrieg aufklären, geben ihm wichtige Informationen. Probleme
mit der faschistischen Vergangenheit deutscher Geschwaderbesatzungen
hat der Oranienburger nicht. Es ginge ihm um die Aufklärung der
Menschenschicksale, egal ob Brite, Amerikaner oder Deutscher. Gleichzeitig
erhellt sich die Oranienburger Kriegs-Geschichte für den Flugzeugforscher
immer mehr. Auch seine eigene Vita. Denn in seiner Familie gilt der Bruder
seiner Schwiegermutter seit 1945 als vermisst. Vielleicht liegt darin sein
Drang nach Aufklärung begründet. Genau weiß Rüdiger Kaddatz aber
selber nicht, was ihn daran so fasziniert, dass er selbst vom Fieber
spricht, das antreibt.
Dass
er nicht ruht, versucht er noch anders zu begründen. Wichtigste Quellen
gebe es immer weniger: die Augenzeugen.
Kaddatz
als Militarist zu bezeichnen, wäre falsch. Auch wenn sein kleines Büro
den Eindruck vermittelt, mit Bildern und Zeichnungen von Jagdmaschinen an
den Wänden, zusammengebastelten Modell-Kriegsflugzeugen, aufgereihten
leeren Patronenhülsen auf einem Tischchen und seinem Leuchten in den
Augen, wenn er erzählt - schnell erzählt.
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