Pressemitteilungen Märker, 17.04.1999

Spurensuche mit dem Detektor

 

Rüdiger Kaddatz löst Rätsel abgestürzter Kriegsflugzeuge,

 

 

Von Burkhard Keeve

 

Rüdiger Kaddatz redet schnell, sehr schnell. Dass steht im völligen Widerspruch zu seinem Hobby, das vollendete Geduld erfordert. Wo andere an einem 1.000er Puzzle verzweifeln, hat er ein Millionen-Puzzle in Angriff genommen. Ob es je fertig wird, steht auf einem anderen Blatt. Das ist auch nicht das vorrangige Ziel. In seinem "Spiel" stellt er die Regeln selber auf.

Der Oranienburger sammelt Überreste verrosteter Flugzeuge, die im Zweiten Weltkrieg in und um Oranienburg abgeschossen wurden.

Wrackteil um Wrackteil sucht der 44jährige, um die Geschichte der Maschinen und ihrer Besatzungen zu erforschen. Dabei ist Kaddatz nicht nur mit dem Metalldetektor auf der Jagd durch märkische Wälder, sondern recherchiert auch auf Friedhöfen, in Archiven sowie Museen, außerdem befragt er Augenzeugen. Zu seiner Abendliteratur zählen dicke Bücher, in denen Absturz um Absturz akribisch aufgelistet sind. Darin wird er fündig, hat er Flugzeugtyp und Abschusstag ermittelt. Dann fügt sich ein Puzzelteilchen zusammen und er kann sich um Tote und Überlebende kümmern.

Glaubt er ein Flugzeug und die verschollene Crew "enttarnt" zu haben, schreckt er nicht davor zurück, Angehörige anzuschreiben, um mehr zum Beispiel über Piloten und Bordschützen zu erfahren. Die Angesprochenen seien in der Regel dankbar, wenn er etwas über den seit 50 Jahren Vermissten mitteilen könne, sagt Kaddatz.

Schützenhilfe bekommt er von der "Gemeinschaft der Jagdflieger" und dem Luftwaffenmuseum Gatow, in dem er Mitglied ist.

Kaddatz forscht in alten und aktuellen Luftbildern nach Aufschlagstellen von Bombern, die im Wald zerschellten. Über Tipps von Förstern über Fundorte ist er dankbar. Die gezielte Suche beginnt.

Dann packt Kaddatz seinen piepsenden Metalldetektor ein, nimmt seinen zehnjährigen Sohn an die Hand und zieht los.

Wenn sie wiederkommen sind Eimer und Kisten mit Aluminiumstücken gefüllt.. Zuhause werden sie gesäubert und nach eingravierten Nummern und Zeichen untersucht, die Aufschluss geben können, um was für einen Flugzeugtyp es sich handeln könnte.

Mittlerweile zählt er zu den Experten für Flugzeugwracks und deren Geschichte. Daher arbeitet der gelernte Ingenieur für Metallurgie auch im Oranienburger Arbeitskreis "Konversation und Militärliegenschaften" mit.

Die Suche nach Überresten und die Nachforschung bezeichnet der Oranienburger als regelrechtes Fieber, dem er sich nicht mehr entziehen kann. Irgendetwas sei in ihm losgetreten worden, als er die erste Absturzstelle fand. Heute opfert er jede freie Minute für sein Hobby - seit drei Jahren. Seine Frau spielt noch mit, auch wenn sie selbst für den "Plunder" im Gewächshaus nicht viel übrig hat. In dem gläsernen Häuschen im Garten wächst nichts, außer der Hoffnung vom Forscher Kaddatz einmal einen bislang ungeklärten Flugzeugabsturz völlig lösen zu können. In dem Gewächshaus erkennt der Laie nichts, außer Rost.

Doch dann wird ein verglühtes Funkgerät sichtbar oder ein Propellerrest, das aussieht wie ein verrottetes Stück Holz. Das meiste ist Schrott, gibt Kaddatz selbst zu, doch trennen kann er sich nicht davon, weil jedes Teil eine Geschichte erzählt, die er noch hören möchte.

In seinem Büro im Gartenhaus bewahrt er gut erhaltene Fundstücke auf. Eine alte Pistole zum Beispiel oder das Ziffernblatt einer Uhr. Sogar einen Knochensplitter grub er aus. Von Experten ließ er sich bestätigen, dass es sich dabei um ein Schädelfragment handelt. Der Tod ist allgegenwärtig auf seinen Wanderungen durch den Wald.

Der Zufall führte ihn vor drei Jahren dahin. Da spazierte er mit seinem Sohn Willy durch den Schmachtenhagener Forst. Dort war er aufgewachsen. Im Wald ragten plötzlich Aluteile aus dem Boden. Reste einer Focke Wulf 190, wie er später anhand der eingestanzten Schriftzeichen herausfand. Eine deutsche Jagdmaschine also. Doch auch dieses erste Puzzle ist noch nicht endgültig gelöst, auch das der übrigen neun Maschinen nicht, die Kaddatz ortete: zum Beispiel in Lehnitz (eine Focke Wulf und eine Lancaster), in Schmachtenhagen (Lancaster), in Grüneberg (Halifax) oder in Briese, Neuholland und Germendorf.

Seine Sucht nach Informationen führt ihn sogar bis nach England. Dort findet er im Staatsarchiv und Museen bestes Anschauungsmaterial von Flugzeugen, die er in Deutschland niemals bekommt, wie Kaddatz bedauert. Doch auch die deutschen Suchdienste, die Vermisstenschicksale deutscher Piloten im Zweiten Weltkrieg aufklären, geben ihm wichtige Informationen. Probleme mit der faschistischen Vergangenheit  deutscher Geschwaderbesatzungen hat der Oranienburger nicht. Es ginge ihm um die Aufklärung der Menschenschicksale, egal ob Brite, Amerikaner oder Deutscher. Gleichzeitig erhellt sich die Oranienburger Kriegs-Geschichte für den Flugzeugforscher immer mehr. Auch seine eigene Vita. Denn in seiner Familie gilt der Bruder seiner Schwiegermutter seit 1945 als vermisst. Vielleicht liegt darin sein Drang nach Aufklärung begründet. Genau weiß Rüdiger Kaddatz aber selber nicht, was ihn daran so fasziniert, dass er selbst vom Fieber spricht, das antreibt.

Dass er nicht ruht, versucht er noch anders zu begründen. Wichtigste Quellen gebe es immer weniger: die Augenzeugen.

Kaddatz als Militarist zu bezeichnen, wäre falsch. Auch wenn sein kleines Büro den Eindruck vermittelt, mit Bildern und Zeichnungen von Jagdmaschinen an den Wänden, zusammengebastelten Modell-Kriegsflugzeugen, aufgereihten leeren Patronenhülsen auf einem Tischchen und seinem Leuchten in den Augen, wenn er erzählt - schnell erzählt.