Pressemitteilung Oranienburger Generalanzeiger, 06.02.2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicht in Vergessenheit geraten

Offizielle Feierstunde für belgischen Soldaten in der Dorfkirche in Friedrichsthal

von Mario Voigt

Friedrichsthal . "Das ging mir sehr nahe. Ich habe selbst einen Bruder, der in Russland verschollen ist. Ich weiß, wie schrecklich das ist." Herbert Wildgrube stehen Tränen in den Augen, als er gestern Mittag in der Dorfkirche in Friedrichsthal die Feierstunde zu Ehren des 1945 bei Malz abgestürzten belgischen Piloten Jacques Groensteen zu Ende geht. Er wurde gerade einmal 22 Jahre alt. Der Friedrichsthaler ist mit seiner Frau Christel zu der öffentlichen Abschiedszeremonie gekommen, "weil wir zutiefst Anteil nehmen an dem Schicksal dieses jungen belgischen Soldaten."

Unter rund hundert Anwesenden weilen neben zahlreichen Gästen aus Belgien auch Friedrichsthals Bürgermeister Wilfried Messow, Oranienburgs Stadtoberhaupt Hans-Joachim Laesicke, Vize-Landrat Michael Ney und Amtsdirektor Richard Wienecke.

Sie alle wollen Abschied nehmen von Jacques Groensteen und seiner gedenken. Sie setzen so für seine Familie und die Öffentlichkeit ein Zeichen, dass er nicht in Vergessenheit geraten ist. Fast sechs Jahrzehnte nach seinem Tod erfährt der Pilot eine offizielle Ehrung - von Belgiern und Deutschen gleichermaßen.

Es wird eines tragischen Kriegsschicksals gedacht, das Millionen andere Familien ebenfalls ereilt hat - unabhängig von Ländergrenzen. Drei Männer aus Oranienburg - Rüdiger Kaddatz, Mario Schulze und Uwe Rathenow - ist es zu verdanken, dass sein Name aus den Vermisstenlisten der Royal Air Force gestrichen werden kann. Über drei Jahre haben sie nach Hinweisen des Absturzes gesucht, Einsatzprotokolle und Lageberichte verfolgt, Namenslisten in Archiven durchforstet und Zeitzeugen befragt. Puzzlestück für Puzzlestück haben sie aneinander gefügt und dabei auch zwei Reisen nach London ins Militärarchiv nicht gescheut. Auch wenn sich die Erkennungsmarke von Jacques Groensteen bis heute nicht angefunden hat, ist die Identität des Piloten anhand der Wrackteile und historischen Zusammenhänge zweifelsfrei geklärt.

Den Oranienburgern steht die Anteilnahme deutlich ins Gesicht geschrieben. "Eigentlich existiert dieser Familienzweig von Jacques Groensteen nicht mehr, der Krieg hat ihn ausgelöscht", sagt Mario Schulze. "Sein Bruder ist ebenfalls im Krieg umgekommen. Die Eltern sind in den 60er Jahren gestorben. Weitere Nachfahren gibt es nicht", erklärt er.

Er und seine Mitstreiter haben dennoch Angehörige des toten Belgiers ausfindig gemacht - unter anderem seinen Neffen, den 79-jährigen Paul Boddin. Auch er ist gestern in Friedrichsthal. Von Mario Schulze erfährt er die unzähligen Details, die zur Aufklärung des Absturzes beigetragen haben. Auch erhält er Kenntnis von einem Augenzeugen, einem deutschen Luftwaffenoffizier, der den Absturz beobachtet hat und bei Frankfurt/Main lebt. Über das Engagement der drei Oranienburger, die ihre Arbeit "aus reinem Interesse machen", zeigt sich Paul Boddin tief ergriffen.

Seit mehreren Jahren befasst sich die Arbeitsgruppe "Fliegerschicksale" nun schon mit Flugzeugabstürzen in und um Oranienburg. Ihr Ziel sei es, das Schicksal der Besatzungen aufzuklären und ihnen zu einem würdigen Begräbnis zu verhelfen, erklärt Mario Schulze. Dabei gehen wir völlig neutral vor, wir unterscheiden nicht welche Nationalität, Religion oder Hautfarbe diese Menschen hatten", so der Hobby-Historiker. "Für uns zählt nur, dass er ein Mensch war, der in dem fürchterlichsten aller Kriege sein Leben verloren hat."

An der Absturzstelle von Jacques Groensteen soll demnächst ein Gedenkstein aufgestellt werden . Seine sterblichen Überreste werden auf dem Luftwaffenfriedhof in Brüssel, neben dem Grab seines Bruders bestattet.

 
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